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Christopher Reeve – Immer noch ich

Stefan Teplan über Christopher Reeves zweites Leben nach dessen tragischem Unfall

(Erstveröffentlichung als Titelstory des Magazins WELTBILD Nr. 2/1999)

Weltbild-Titel Nr. 2, 1999. Ausriss

Superman war er nicht nur im Film. Stand er nicht vor Kameras, so flog er als Held der Lüfte in alten Doppeldeckern aus dem Ersten Weltkrieg, unternahm Soloflüge über den Atlantik und Nordamerika, konnte drachenfliegen, segeln, sportreiten, tauchen – seiner Abenteuerlust und seinem sportlichen Ehrgeiz schienen keine Grenzen gesetzt. Und als hätte er geahnt, was ihm bevorsteht, schärfte er seiner Mutter Barbara ein: „Wenn ich einmal nicht mehr reiten, schwimmen oder segeln kann, dann ist das Leben für mich nicht mehr lebenswert. Wenn mir je so etwas passiert, dann lass mich abschalten und nicht an Schläuchen hängen.“

Am 27. Mai 1995 war es soweit. Superman Christopher Reeve brach sich das Genick. Bei einem Reitturnier in Culpeper im US-Staat Virginia stürzte er kopfüber von seinem Hengst Buck. Drei Minuten konnte er nicht mehr atmen. Nach vier Minuten wären ernsthafte Hirnschäden eingetreten. Doch von Glück im Unglück zu sprechen, wäre hier makaber, als zu schwer erwiesen sich die Verletzungen, die Reeve bei seinem Unfall erlitt.

Der erste und zweite Halswirbel waren gebrochen. Das hieß: Vom Hals an würde der Schauspieler lebenslang gelähmt bleiben, wahrscheinlich auch nie mehr ohne künstliche Geräte atmen können. Nie mehr reiten, nie mehr schwimmen oder segeln. Für Barbara Reeve war der Fall damit klar. Sie stürmte in das Krankenhaus und forderte, ihren Sohn augenblicklich von den ihn am Leben erhaltenden Schläuchen abzutrennen. Natürlich hörte niemand auf sie. Nach drei Tagen erwachte Reeve aus dem Koma – und wollte Selbstmord begehen. „Vielleicht“, sagte er zu seiner Frau Dana, „wäre es besser, mich gehen zu lassen?“ Unter Dänen brachte Dana hervor: „Ich werde dir zur Seite stehen, egal, was du tun willst, weil es dein Leben und deine Entscheidung ist. Aber  ich möchte, dass du weißt, dass ich bereit bin, den ganzen langen Weg mit dir zu gehen, komme, was wolle.“ Und sie fügte ihren Worten hinzu: „Du bist immer noch du und ich liebe dich.“ „Das war der Satz“, sollte Reeve später schreiben, „der mir das Leben rettete.“

Reeve erinnert sich an diese Szene in seiner Autobiographie „Immer noch ich“, die am 10. Februar in Deutschland erschien. Die Doppelbedeutung des Titels „Still Me“ kommt nur im englischen Original zum Tragen. Er greift, wie die deutsche Übersetzung, die Worte von Reeves Frau auf, heißt aber gleichzeitig auch: „Ich Bewegungsloser“. Als solcher führt Reeve seit jenem Unfall im Mai 1995 das, was er sein zweites Leben nennt. Fünfeinhalb Stunden vergehen jeden Tag allein damit, dass er für den Tag hergerichtet und abends wieder zu Bett gebracht werden kann. Zwei Pfleger müssen ihm beim Aufstehen helfen, zwei beim Zubettgehen. Ein Beatmungsschlauch führt zu einem künstlichen Schlitz in der Luftröhre. Sein Bett ist zugleich seine Toilette, der Stuhlgang muss künstlich eingeleitet werden. Dreimal pro Woche heben ihn Krankenschwestern mit Hilfe eines Tragriemens auf einen Spezialtisch, der von der Horizontalen bis fast zur Vertikalen gekippt werden kann. Ein Gurt über seiner Brust, auf der einst das scharlachrote „S“ für Superman prangte, hält ihn fest, ein weiterer Riemen ist über seine Hüfte gebunden, ein dritter umschließt seine leblosen Knie. Dann geht im Zeitlupentempo sein Kopf leicht nach oben, seine Füße berühren allmählich den Boden. Der Tisch neigt sich um zehn Grad, dann machen die Schwestern eine Pause. 20 Grad, nächste Pause. Den wachsenden Druck seiner 11o Kilo Körpergewicht auf seine zusammengebundenen Beine spürt der gelähmte Reeve nicht. Aber er spürt, je mehr er Tisch sich neigt, verstärkt den Sauerstoffmangel und Druck auf seine Lungen. Trotz des Beatmungsschlauchs schwitzt und keucht er, als der Tisch um 80 Grad gekippt wird. Querschnittsgelähmte müssen diese Prozedur nicht unbedingt auf sich nehmen; aber Reeve besteht darauf. Sie soll in Fällen wie dem seinen vor drohendem Muskelschwund und Osteoporose schützen.

Die Geschichte efolgte zum Buchstart von Reeves Buch "Still Me - Immer noch ich", das in WELTBILD vorabgedruckt wurde. Ausriss aus Weltbild Nr. 2, 1999

Dass er in solchen Momenten ein Bild tiefsten Elends abgibt, weiß Reeve selbst. Aber das ist es sicher nicht, was er mit „zweitem Leben“ meint. Das begann mit der Liebeserklärung seiner Frau an dem Krankenbett, das er bereits für sein Totenlager hielt. Der Erklärung, die ihm so viel Kraft verlieh, dass er – sämtlichen medizinischen Erkenntnissen zum Trotz – felsenfest behauptet: „Ich kann in ein paar Jahren wieder gehen.“ So in drei vielleicht, meint er. Spätestens aber in fünf. Mittlerweile hält ihn niemand mehr deswegen für verrückt. Denn Reeves unglaublicher Überlebenswille hat jetzt schon Berge versetzt.

Lähmungen durch ein gebrochenes Rückgrat galten bislang als irreparabel. Dass hier innerhalb weniger Jahre die Wissenschaft umdenkt, hat Reeve fast im Alleingang geschafft. „Wir leben in einem Zeitalter, in dem nichts unmöglich ist“, verkündet er. Auch nicht das, was man bisher für unmöglich hielt. Dann hatte eben die Wissenschaft nur noch nicht die richtigen Mittel entdeckt. Vielleicht, weil ihr selbst Mittel fehlten? Reeve beschloss, ihr auf die Sprünge zu helfen.

Er sammelte Geld. „Wenn Sie viel für die Erforschung einer Krankheit ausgeben“, erklärt er, „werden Sie auch die Möglichkeit zu ihrer Heilung finden. Wissenschaftler wollen nicht im Verborgenen arbeiten und nicht unterbezahlt werden. Sie wollen Geld verdienen, sie wollen beachtet werden, vielleicht den Nobelpreis gewinnen.“ Mit einer schier unglaublichen Vitalität und unerschütterlichem Optimismus ging Reeve auf Missionsreisen, sammelte, seine Popularität nutzend, Spendengelder in Millionenhöhe, gründete das Reeve-Irvine-Forschungszentrum. An MEDIZINER UND Biologen in aller Welt appelliert er: „Dies ist eine Herausforderung, die ich mit der vergleiche, die John F. Kennedy an die Wissenschaftler gestellt hat, als er sie aufforderte, es möglich zu machen, dass bald ein Mensch auf dem Mond gehen kann.“

Weltbild-Artikel über Christopher Reeve. Ausriss aus Weltbild Nr. 2, 1999

Erster erfolg der Reeve-Mission: Im September 1996 fand der Schweizer Martin Schwab von der Universität Zürich einen Weg, Moleküle zu stoppen, die das Zentralnervensystem hemmen. Ihm wurde die Christopher-Reeve-Forschungsmedaille verliehen – dotiert mit einem Preisgeld von 50.000 Dollar. Dann gelang es schwedischen Wissenschaftlern bei Tierversuchen, durchtrennte Rückenmarkteile mit neuen Nervenbrücken zumindest teilweise zu regenerieren. In wenigen Jahren, hoffen sie, könne man diese Methode auch bei Menschen anwenden. Harlan Weinberg, einer der Ärzte, die Reeve behandeln, zeigt sich bereits vom Optimismus seines prominenten Patienten angesteckt: „Reeves Hoffnungen“, glaubt er, „sind nicht übertrieben. Die Rückenmark-Forschung ist einen großen Schritt weitergekommen.“

Prompt witzelte Schauspielerkollege Paul Newman bei einem Besuch Reeves: „Weißt di was? 1906 bekam ein Wissenschaftler den Nobelpreis für seinen ,Beweis‘, dass Rückenmarkgewebe sich nicht regenerieren kann. Wenn der noch am Leben wäre, müssten wir ihn finden und ihm den Preis wieder abnehmen.“

Leute wie Newman trifft Reeve noch laufend. Hollywood hat „Superman“ nicht abgeschrieben. Obwohl er mit nichts als seinem Gesicht spielen kann, war er in einer Neuverfilmung des Hitchcock-Thrillers „Das Fenster zum Hof“ im letzten Jahr wieder vor der Kamera – mit glänzenden Kritiken nach der TV-Erstausstrahlung im November 1998. Ein Jahr vorher gab er für den Fernsehfilm „In The Gloaming“ sein Debüt als Filmchef hinter der Kamera. Unter der Leitung des Regisseurs im Rollstuhl „arbeitetet jeder in der Crew übereifrig. Und nie kam jemand zu spät“, staunte Reeve. Seitdem gibt er Unternehmern einen entscheidenden Rat: „Setzt einen Menschen mit einer Behinderung ein in den Mittelpunkt eurer Belegschaft. Und eure Arbeiter werden sich weniger beschweren und noch viel produktiver sein. Stellt Menschen mit einer Behinderung ein! Sie motivieren den Rest eures Personals zu Höchstleistungen.“

Seit Christopher Reeve im Rollstuhl sitzt, verleiht der bekannte Mensch mit einer Behinderung den vielen unbekannten Leidensgenossen, denen er auch sein Buch gewidmet hat, eine Stimme: „Ich kämpfe unter anderem dafür, dass Krankenversicherungen di Deckungssumme bei Behinderungen erhöhen.“ Dass das Limit von einer Million Dollar zu niedrig ist weiß er aus eigener Erfahrung: Allein seine Behandlung kostet 350.000 Dollar pro Jahr. Außerdem wirbt er unermüdlich dafür, dass Menschen mit einer Behinderung realistisch in Filmrollen dargestellt werden. „Meistens sind sie im Fernsehen nur Kranke oder Böswichte“, klagte er kürzlich bei einem Vortrag in Toronto vor 6000 TV-Chefs aus aller Welt. „Wir brauchen ein paar Menschen mit einer Behinderung, die im Film eine Vorbildfunktion übernehmen.“ Er selbst sei nur einer von „49 Millionen Menschen mit einer Behinderung und einer Viertelmillion Querschnittsgelähmten auf der Welt. Wenn mein Unfall zu etwas gut war, dann dazu, dass ich mit den Wissenschaftlern in aller Welt an einer äußerst wichtigen Sache arbeite. Und das tue ich nicht für mich allein. Ich tue es für alle Menschen mit einer Behinderung auf der ganzen Erde.“

Aber er hat noch andere Gründe. Befragt nach seinem größten Wunsch äußert er spontan: „Ich möchte meine Frau Dana umarmen. Und meinen jüngsten Sohn Will Ich finde, darauf hat er ein Recht.“

Von Stefan Teplan alias Daniel Dopplan (s. dazu Erklärung im Kommentar)

© Stefan Teplan