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Die Macht der Schönheit

Aussehen bedeutet Ansehen. Schöne Menschen genießen Vorteile im Beruf, in Beziehungen, selbst vor Gericht. Was aber ist Schönheit? Und wird der Kult um sie zum Terror? Eine Analyse von Stefan Teplan (mit Interviews von Dietmar Kattinger, Marion Vorbeck, Klaus Kreitmeier und Stefan Teplan mit Ottfried Fischer, Petra Schürmann, Nina Ruge, Chris Roberts, Nancy Friday u.a.)

Schönheit“, besagt ein griechisches Sprichwort, „ist mächtig, Geld allmächtig.“ Dass Schönheit einmal so viel mit Geld zu tun hat wie am Ende des 20. Jahrhunderts, konnten die alten Griechen nicht ahnen. Mehr denn je zahlen die einen dafür, mehr denn je verdienen die anderen damit. Topmodels wie Cindy Crawford und Claudia Schiffer tragen ihre Haut für rund 15 Millionen Mark jährlich zu Markte. Mode- und Lifestyle-Magazine wie Vogue oder Vanity Fair blättern für etwas Entblättern schon einmal 20.000 bis 30.000 Dollar pro Fotosession hin.

Dabei setzen die Schönheiten Maßstäbe, denen die Mehrheit nicht entsprechen kann. Und es dennoch für viel Geld versucht. 1,1 Milliarden Mark, so meldete das Statistische Bundesamt Anfang Juni, gaben Bundesbürger im Jahr 1995 für Schönheitspflege aus. Und neben der Kosmetikindustrie haben auch Schönheitschirurgen Hochkonjunktur. 100.000 Deutsche lassen sich jährlich liften, Falten lasern, Busen füllen, Fettbäuche leeren oder Nasen operieren. 80.000 davon sind Frauen, die der gnadenlose Konkurrenzkampf untereinander teuer zu stehen kommt.

Schuld daran sind die Männer, glaubt der Wiener Ethologe Karl Grammer. Untersuchungen für sein Buch „Die Signale der Liebe“ bestätigen, was das „starke Geschlecht“ selbst nur ungerne zugibt: dass es beim „schwachen Geschlecht“ in erster Linie auf das Äußere sieht. Die 20.000 Männer, die sich für mehr Ansehen durch Aussehen den Chirurgen ans Messer liefern, haben da eine ganz andere Motivation: Sie tun das, wie die Süddeutsche Zeitung herausfand, „nicht, um Frauen zu erobern, sondern um ihrem Chef zu gefallen. Das gegenwärtige Erfolgsimage akzeptiert weder Falten noch Doppelkinn oder Tränensäcke.“

Ob die Rechnung aufgeht? Das wiederum werden Personalchefs ungerne zugeben, aber die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Wer schön ist, hat’s schöner. Das amerikanische „Bureau for Economic Research“ hat die Karrieren von 2000 Uni-Absolventen analysiert. Fazit: Äußere Reize sind wichtiger als alle Bewerbungsunterlagen. Die von einer Jury überwiegend als attraktiv eingestuften Juristen verdienten nach fünf Jahren neun Prozent mehr als ihre Kollegen, nach 15 Jahren sogar 13 Prozent. „Die Tendenz, dass Gutaussehende besser verdienen, nimmt dabei von Jahr zu Jahr zu“ weiß die amerikanische Verhaltens- und Sexualforscherin Nancy Friday (s. auch Interview weiter unten).

Dabei zahlt sich ein schöner Leib beileibe nicht nur im Berufsleben aus: Schöne Menschen genießen auch in anderen Bereichen den Vorteil des so genannten „Nimbus-Effekts“. Das heißt:

–  Sie werden von Haus aus als intelligenter, humorvoller, sensibler, aktiver und netter  eingestuft

Gutaussehende Kriminelle werden seltener festgenommen

Attraktive Straftäter werden vor Gericht milder beurteilt

Schöne Schüler wurden von Lehrern bei Foto-Tests positiver, auch im Hinblick auf einen höheren Abschluss, beurteilt.

Bleibt angesichts dieser Demonstration der Macht der Schönheit die Frage, was Schönheit eigentlich ist. Ein rein subjektives Empfinden? Ein von Medien- und Modeleuten diktatorisch verordnetes Idealbild? Oder ein Image, für das es objektive Kriterien gibt? Dem steht entgegen, dass im Wandel der Zeiten das Schönheitsideal unzählige Male gewechselt hat. Galten in der Antike Harmonie und Symmetrie schlanker Körper als das Maß aller Dinge, durfte es in der Barockzeit schon ein wenig mehr sein: Da war, wie auf den berühmten Gemälden von Rubens zu sehen, Leibesfülle angesagt. In unserem Jahrhundert drückten in den 20er Jahren Frauen mit Bubiköpfen und langen Hemdkleidern Selbstbewusstsein aus, in den 30er und 40er Jahren waren in Deutschland Mädels mit roten Backen und kräftigen Beinen in wadenlangen Kleidern gefragt, in den 50er Jahren symbolisierten Wespentaille und runde Hüften den Zier-Charakter der Frau. In den 60er Jahren trieb kurzzeitig der Twiggy-Look Mädchen an den Rand der Magersucht. Seit den 80er Jahren ist alles möglich: Punks und Popper, Grufties und Grunge, Teds und Techno-Look stehen gleichberechtigt nebeneinander.

Aber es gibt in der Beurteilung von Schönheit zumindest eine Konstante über alle Modeerscheinungen hinweg: Als attraktiv, so Karl Grammer, wird das symmetrische Durchschnittsgesicht angesehen. Ungewöhnlich schön ist das ungewöhnlich Gewöhnliche (siehe Bilderreihe „Aus 16 mach 1“ weiter unten).

Nicht gewöhnen aber will sich Anselm Grün, Abt der Benediktinerabtei Münsterschwarzach,  an den Gedanken, dass Millionen sich heute dem Schönheitsterror unterwerfen. „Wir müssen aufhören, uns zu vergleichen“, warnt er. „Sonst rennen wir einem äußeren Ideal hinterher und lassen uns von anderen das Ideal aufdrängen, das ja nicht der objektiven Schönheit entspricht. Schönheit ist auch der Durchschein des Göttlichen.“ Der Moraltheologe Bernhard Häring sieht es ähnlich: „Bei mir gehören das schöne, das Gute und Wahre zusammen. Gott ist die Schönheit.“ Häring wehrt sich dagegen, Menschen nach ihrer Attraktivität zu beurteilen: „Da bleibt man am Äußeren hängen und verliert die Tiefe.“

Da müssten die Theologen nicht nur in Bodybuilding-Zentren, Beauty-Farmen und Kosmetiksalons missionieren. Der extremste und makaberste Schönheitskult wird auf der Südseeinsel Oloa getrieben: Dort werden hässliche Babys umgebracht. Wer über 40 ist und an Schönheit verliert, verabschiedet sich mit einem rauschenden Fest. Danach nimmt er tödliches Gift.

Copyright: Stefan Teplan

Erstveröffentlichung im Magazin Weltbild Nr. 13, 1997

Lesen Sie dazu auch die Interviews mit Prominenten und mit der Sexual- und Verhaltensforscherin Nancy Friday weiter unten!

SCHÖNHEIT ALS VORTEIL,

SCHÖNHEIT ALS FLUCH

Stefan Teplan sprach mit der amerikanischen Verhaltens- und Sexualforscherin (bekannte Bücher: „Die sexuellen Phantasien der Frauen, „Die sexuellen Phantasien der Männer“) über ihr neues Werk „Die Macht der Schönheit“.

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Nancy Friday und ihr Buch „Die Macht der Schönheit“ – Ausschnitt aus dem Magazin Weltbild Nr. 13, 1997

Stefan Teplan: Sie empfehlen Frauen, die Macht der Schönheit mehr zu nutzen. Halten Sie sich eigentlich immer noch für eine Feministin?

Nancy Friday: Natürlich. Ich gehe nur gegen die männer- und schönheitsfeindliche Haltung vor, die die feministische Bewegung in ihren Anfängen einnahm. Damals war die Botschaft: Wir Frauen wollen Gleichberechtigung, wir wollen als Menschen und nicht als Schönheitsobjekte angesehen werden. Das haben wir zum Großteil erreicht. Aber man muss auch die Realitäten sehen. Und die Macht der Schönheit ist eine Realität.

Stefan Teplan: Inwiefern?

Nancy Friday: Man weiß ja inzwischen, dass schöne Menschen mehr Vorteile haben, im Beruf wie im Alltag. Es ist eine Realität, dass wir Menschen auf das Äußere sehen. Und dass auch in diesem Punkt ein ständiger Konkurrenzkampf herrscht. Nur haben die Feministinnen gesagt: Wir Frauen kämpfen nicht gegeneinander, wie es die Männer tun. Das ist kontraproduktiv, lächerlich und dumm. Wir müssen lernen, Konkurrenz untereinander zu akzeptieren und zu führen.

Stefan Teplan: Feministinnen wollen diese Konkurrenz auch, doch auf intellektuellem und nicht auf äußerem Niveau.

Nancy Friday: Das ist völlig unrealistisch. Arbeitgeber ziehen häufig attraktivere Bewerber vor und bezahlen sie auch besser. Schönheit ist immer ein Trumpf.

Stefan Teplan: Sie führen in Ihrem Buch aber auch einige Kehrseiten der Schönheit an.

Nancy Friday: Ja, dazu kann ich Ihnen gleich etwas Neues sagen. In einer neuen Studie erzählten die meisten attraktiven Frauen um Ende 20, sie empfänden ihre chönheit als einen Fluch. Sie sagten sich: „Hier bin ich mit meinen 27 Jahren, und meine Schönheit verblasst langsam. Und weil ich immer so schön war, habe ich keine anderen Fertigkeiten entwickelt wie manche meiner Freunde. Ich bin nicht so intelligent, nicht so sportlich, es gibt nichts, in dem ich absolut überragend bin.

Stefan Teplan: Und was hinderte diese Frauen daran, andere Talente zu entwickeln?

Nancy Friday: Die Tatsache, dass sie Freundinnen wollten. Die hätten im Wettbewerb nicht mithalten können, wenn ihre Freundin zu ihren äußeren Vorzügen noch besondere intellektuelle Fähigkeiten entwickelt hätte. Also haben sie sich, um nicht Neid zu erregen darauf beschränkt, nur schön zu sein.

Copyright: Stefan Teplan

Erstveröffentlichung im Magazin Weltbild Nr. 13, 1997

WAS IST FÜR SIE SCHÖN?

Prominenten-Umfrage, Ausschnitt aus Weltbild Nr. 13, 1997

Prominenten-Umfrage – Ausschnitt aus dem Magazin Weltbild Nr. 13, 1997

(Die Interviews mit den Prominenten führten die Redakteure Dietmar Kattinger, Marion Vorbeck, Klaus Kreitmeier und Stefan Teplan)

Ottfried Fischer, Schauspieler: „Schönheit ist für mich etwas, das auch nach dem ersten Blick noch hält. Schön ist für mich nicht unbedingt nur der oder die klassich Schöne, sondern diejenige Person, die sich die innere und äußere Schönheit durch sein Verhalten mehr als durch sein Aussehen erworben hat. Denn die ganz Schönen, die nur schönen, sind erfahrungsgemäß die größten Luschen.“

Nina Ruge, Moderatorin: „Schönheit ist unglaublich viel. Schönheit ist menschgewordene Sehnsucht des Menschen nach Harmonie: in den Gesichtszügen, im Bau des Körpers, in der Anmut der Bewgungen und der Kraft des Herzens. Leere schönheit lässt mich kalt. Sprich: Schönheit geht nur zusammen, wenn Körper und Seele harmonisch sind – dann alerdings entsteht Magie, auch Macht, auch Einsamkeit. Wen finde ich schön? Emanuelle Béart, Robert Redford, Christie Turlington. Allerdings: Wie stark kann die Leinwand die Stärk des Herzens transportieren? Zumindest so stark, dass Demi Moore für mich nicht zu den Schönen zählt.

Chris Roberts, Schlagersänger: Ich erinnere mich an eine alte Frau, die an der dalmatinischen Küste am Hafen saß. Sie hatte nur einen Zahn, war voller Falten und Runzeln. Und das war mit das Schönste, was ich je gesehen habe – in der Würde, in der sie da saß, in de Würde, in der sie alt wurde, ohne diesen Druck von Jugend und Schönheit, der in der westlichen Gesellschaft vorherrscht.

Britta Steilmann, Modemacherin: „Schönheit kommt von innen und außen. Der schönste Mensch ist für mich Robert Redford. Er verbindetCharisma mit Begabung, Seele, Herz und Leidenschaft mit gutem Aussehen.“

Rudolf Mooshamer, Modeschöpfer: „Ich finde alle Menschen schön, die eine Ausstrahlung und Charisma haben. Schönheit kommt nach Lebensphilosophie und Erfahrung nur von innen.“

KatrinZimmermann, geborene Krabbe, Athletin: „Ein schöner Mensch ist für mich jemand, dn man total gern mag und der für andere vielleicht vom Optischen überhaupt nicht gut aussieht. Ein beispiel dafür ist mein Mann: der ist vom Äußeren gewiss nicht jedermanns Geschmack, obwohl er groß und schlank ist und interessant ausshieht. Für michb ist er aber von seiner Ausstrahlung her ein richtig schöner Mensch.“

Claus Hipp, Unternehmer und Maler: „Im Vergleich zum Hübschsein ist Schönsein etwas, das von innen herauskommt. Es gibt auch wunderschöne alte Menschen. In uns, in er Literatur und in der Bildenden Kunst steckt die Verbindung von schön und gut; wir sind enttäuscht, wenn das schöne nicht gut ist. Für mich ist der Papst schön als Mensch. Er hat so viel Strahlendes an sich, das die scghönheit ausmacht.“

Petra Schürmann, Moderatorin: „Es gibt viele optisch hübsche Gesichter, die keinen Ausdruck haben. Körper und Geist sollen eins sein. Ein Beispiel hierfür ist die Moderatorin Birgit Schrowange. Sie hat eine angenehme Stimme, ein telegenes Gesicht und Ausdruck. Wenn das nicht übereinstimmt, ist man nur eine Barbiepuppe.“

Helmut Bauer, Würzburger Weihbischof: Nach der klassischen definition, der ich mich anschließe, ist Schönheit alles, was wahr und gut ist. Ich möchte das Wort Jesu gebrauchen: Gott allein ist gut, also im weiteren Sinne auch: Gott allein ist schön. Alles ist schön, was Göttliches in dieser Welt durchlässig macht., weil Er letztlich auch im Wahren, Schönen und Guten seine Liebe zum Lebendigen zeigt.

Thomas Maria Renz, Weihbischof Rottenburg-Stuttgart: „Schönheit ist etwas, was anmutig ist, was anspricht und fasziniert. Schönheit hängt mit der Ausstrahlung, der Anziehungskraft zusammen. Schön ist für mich der, der in sich diese Schönheit hat. Schönheit ist nicht nur etwas Äußeres, es gibt ja auch eine innere Schönheit. Und die Theologie spricht davon, dass zum Beispiel in Gott das wahre und Schöne ist. Wer dies ausstrahlt, der hat diese Schönheit.

AUS 16 MACH 1: IDEALGESICHT AUS DEM COMPUTER

Von Stefan Teplan

Idealgesicht, Ausschnitt aus Weltbild Nr. 13, 1997

Idealgesicht – Ausschnitt aus Weltbild Nr. 13, 1997

Schon der Philosoph Immanuel Kant verkündete: „Das Mittelmaß scheint das Grundmaß und die Basis aller Schönheit selbst zu sein.“ Naturforscher Francis Galton bestätigte ihn. Er fand im letzten Jahrhundert heraus, dass Frauengesichter schöner wirken, wenn man mehrere Fotos aufeinander kopiert. Der Ethologe Karl Grammer verfeinerte die „Durchschnitts-Hypothese“ noch: Er ließ computertechnisch übereinander kopierte Porträtbilder zu einem künstlichen Durchschnittsgesicht vereinigen (siehe Fotoreihe oben), das in allen Test als attraktiver beurteilt wurde. Interessanterweise wirkt das Mittelgesicht nur bei Frauen anziehend. Bei Männern werden Besonderheiten wie ein starkes Kinn eher als attraktiv empfunden.

Copyright: Stefan Teplan

Erstveröffentlichung im Magazin Weltbild Nr. 13, 1997